Der Rückspiegel der Vergangenheit
[Von Bela Brillowska, Jg. 10]
Maestro, Maestro bring mir den Fuchs
Den verschollen Fuchs, ich suche ihn nämlich
Maestro, Maestro schau in den Rückspiegel,
Der verschwundene Rückspiegel,
In ihm siehst du die Vergangenheit
Die Vergangenheit der Sterne, bevor sie explodieren
Laufbahnen über Linien bilden Kreise
Rund, rund wie der Mond
Alles rund, nichts eckig
Weil es sich dreht
Verstehst du, Maestro?
Es zirkuliert
Wie das Blut in unseren Adern
Maestro, Maestro wo ist die Säge, mit der du die Felder sähest, bis alles vertrocknet und du den letzten Lebenssaft aus der Narzisse quetschst?
Deine langen, dürren Finger mit den Nägeln in welchen der Dreck haust
Keiner will es sehen
Nur ich Maestro
Vetrau’ mir doch
Ich suche meinen verschollenen Fuchs
Er ruft nach mir, denn er liebt mich
Doch Maestro, ich bin für dich da
Schau in den Rückspiegel
Den Rückspiegel der Vergangenheit
Ich war immer für dich da
Die Gräser sind saftig grün,
Wie ein Pfefferminzbonbon in seiner Laufbahn
Er kreist um uns, doch niemand merkt es
Also ist er überhaupt da?
Ich frage dich Maestro –
Wenn mein Fuchs nach mir ruft,
Doch ich höre ihn nicht
Ist er dann überhaupt da?
Wenn niemand ihn hört?
Keiner will ihn hören
Wenn Bäume zu Träumen werden
Wer wird sie dann schütteln?
Der Vater hütet die Schaf’
Doch die Mutter ist verschwunden
Maestro, Maestro bring mir die Mutter
Die heilige Mama, die unseren Lebensdurst in ihrem Busen trägt
Denn sie liebt uns nämlich, weißt du?
Sie liebt uns alle
Auch dich, dich mit deinen mageren Fingern in denen schon der Dreck der Zukunft haust
Keiner will es sehen
Wir liegen auf der Wiese
Lange tun wir das
So lange, bis wir ein Organismus werden
Ein Teil des Systems
Wir erfinden unsere eigenen Umlaufbahnen
Unsere Kreise sind eckig und unberechenbar
Maestro, Maestro der Fuchs liegt uns zu Füßen
Kannst du ihn sehen?
Nein – Keiner will ihn sehen
Und wir fliegen
Für immer in den Regeln des Universums
Deine langen Hände lassen mich los
Adé Maestro
Maestro, mein Maestro
Schau nur in den Rückspiegel, dort kannst du mich sehen
Für immer, im Rückspiegel der Vergangenheit
Gegen sieben erreichen meine Mutter und ich den Italiener. Sie bestellt eine Dorade und ich eine Pizza mit Büffelmozarella und Shrimps. Nicht weit vom Italiener befindet sich das alte Haus meiner Mutter. Es sollte ein Kindergarten werden, deshalb zogen Adriana und Antonia in unsere jetzige Wohnung. Oft gehen wir nach dem Essen dorthin und klettern heimlich in dem Hinterhof. „Und hier hat Antonia ihre ersten Brombeeren gepflückt … hier war mein Arbeitszimmer … hier war die Schaukel”, die Stimmung ist dann sehr sentimental und die Augen meiner Mutter funkeln auf eine bestimmte Weise.
Wir reden über meinen neuen Film. Ich habe ihn erst vor Kurzem fertiggestellt. „Und Roman meinte, dass man ihm dem Film genauso gut von einer Studentin hätte verkaufen können”, sagt sie stolz. „Ich möchte ihn auf jeden Fall in Oberhausen anmelden. Und auf dem Hamburg Film Festival. Bei den ganzen Jugendfestivals ja sowieso”, sie nimmt einen Schluck von ihrem Rotwein. „Kein Chardonnay heute?”, frage ich. „Ich habe Sodbrennen”, antwortet sie.